Bilder bilden gesellschaftliche Realitäten nicht einfach ab, sondern können auf diese auch verändernd einwirken – dies gilt mittlerweile als selbstverständlich. Die Frage nach dem Einfluss und der Wirkung von Bildern wird nicht nur in regelmäßig wiederkehrenden öffentlichen Debatten gestellt, die durch politische Anlässe wie die Rolle von Fotografien in der Kriegsberichterstattung, den Betrug durch gefälschte Bildbeweise oder die neuen Möglichkeiten von KI-generierten Deep Fakes ausgelöst werden. Auch der ständige Umgang mit Bildern im Alltag macht deutlich, wie stark soziale und bildliche Wirklichkeiten miteinander interagieren. Dies gilt heute wohl mehr denn je, auch wenn Bilder historisch gesehen schon immer ein wesentlicher Bestandteil sozialen Handelns und auch gesellschaftlicher Auseinandersetzungen wie Verständigung waren.
Da Bilder soziale Wirklichkeiten mit hervorbringen, können sie diese sowohl stabilisierend, transformierend und destruierend wirken. Gerade in gesellschaftlichen Umbruchs- und Krisenphasen scheinen Bilder besonders virulent zu sein: In ihnen werden neue (und alte) Bilder ins Spiel gebracht. Insofern bestimmen Bilderden Verlauf gesellschaftlicher Transformationen und Konsolidierungen entscheidend mit und wandeln sich dabei zugleich. Sie können gesellschaftliche und politische Erinnerungskulturen prägen, aber auch individuelle Vorstellungen – von der eigenen Person von Körper, Geschlecht, Familie, Zugehörigkeiten usw. und entsprechenden Erinnerungen daran.
Bildproduktion und -kommunikation können dabei einerseits symmetrisch-partizipativ praktiziert werden Andererseits sind sie immer eingebettet in politische und soziale Machtdynamiken, einschließlich der Aushandlungen von Sichtbarkeit, die hierarchisierende soziale Ordnungen konstituieren und innerhalb derer wirksam sind. Bezogen sind diese auf Geschlecht, Generation, Klasse, Milieu, rassistische und kulturelle Differenzierungen usw. aber auch auf (technische) Zugangsmöglichkeiten oder algorithmische Logiken. Potentiell sind Bilder stets in der Lage zu irritieren, zu affizieren, zu bewegen, zu ordnen und zu stabilisieren und somit auf ihre Weise zu gesellschaftlichen Transformationsprozessen beizutragen.
Unsere Forschungsnetzwerk interessiert sich gerade für diesen Zusammenhang von Bild, Gesellschaft und Transformation, kurz: für Bilder als wirklichkeitskonstituierend in gesellschaftlichen Transformationsprozessen. Dabei fragen wir danach, in welcher Art und Weise Bilder jeweils soziale Wirklichkeiten mit konstituieren und dadurch zu gesellschaftlichen Transformationsprozessen beitragen, etwa mittels ihrer ikonischen Eigenlogik, ihres besonderen Affizierungs-, Identifikations- und Projektionspotentials.
Was verstehen wir unter ‚Bildlichkeit‘? Unter diesem Oberbegriff fassen wir verschiedene Erscheinungsformen und Zusammenhänge: von einzelnen Bildern, über interbildliche Bezüge bis hin zu Prozessen der Verbildlichung. Ein Bild stellt zunächst eine Entität für sich dar. Es ist begrenzt und komponiert, gegebenenfalls auch gerahmt. Darüber hinaus treten Bilder in den unterschiedlichsten konkreten Formen auf, die in ihrer Vielfalt einbezogen werden: von der Zeichnung, der wissenschaftlichen, erkenntnisgenerierenden Grafik, dem Gemälde oder Plakat bis hin zu Fotografien, Filmen, KI-generierten Bildern oder Bildern in Social Media. Mit diesen Erscheinungsformen des Bildlichen und ihrer unterschiedlichen Medialität gehen spezifische Bildpraktiken einher, wie sie im Begriff des Bildens noch einmal aufscheinen: das Feld der Produktion mit seinen technischen Voraussetzungen, die Bilder verändern oder überhaupt erst ermöglichen, die Bilddistribution, die wiederum an Techniken gebunden ist, sowie die Rezeption und Wirkung von Bildern.
Entscheidend für die Anlage unserer Forschungen ist zudem, dass diese unterschiedlichen Bildformen in ihrer Medialität und den damit verbundenen Bildpraktiken nicht nur für sich existieren, sondern aufeinander Bezug nehmen und miteinander interagieren. In der Kombination unterschiedlicher Bildformen und -medien entstehen gesellschaftliche Wahrnehmungen und Vorstellungen. Bildmedien sind in gesellschaftliche Kontexte eingebettet und entstehen aus ihnen, auch wenn Bilder grundsätzlich Wirkmächtigkeit in neuen Kontexten entfalten können. Dabei ist die Trennung von Bild und gesellschaftlichem Kontext nur als heuristische Differenz anzusetzen.
Neben die Frage nach der konstitutiven Wirkung von Bildern und ihrem Beitrag zu gesellschaftlichen Transformationen tritt die nach ihrer je spezifischen Form, ggf. ihrer Materialität, Medialität, technischen Voraussetzungen usw. sowie die Analyse interbildlicher und intermedialer Bezüge und Wirkungen. Die Komplexität dieser Phänomene erfordert einen interdisziplinären Forschungszugang. Aus der interdisziplinären Kollaboration und wechselseitigen Erweiterung der Perspektiven geht auch die folgende Konstellation von Texten hervor.
LITERATUR
Zitationsvorschlag: Bildnetzwerk (2024): Transformative Bildlichkeit: Rahmentext. In: DFG Netzwerk Transformative Bildlichkeit (Hrsg.): Abschlusspublikation.
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